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Nationale SicherheitsstrategieDie Rolle der Länder



von Mark Speich


Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung ist die verpasste Gelegenheit, eine umfassende Sicherheitsstrategie zu entwickeln, die alle relevanten Akteure angemessen einbezieht. Während die entscheidenden Bedrohungen und Risiken zwar erkannt und dargestellt werden, bleibt nach wie vor die entscheidende Frage offen, wie die Regierung die vorliegenden Herausforderungen effektiv anzugehen gedenkt.



Integrierte Sicherheit – ein hoher Anspruch


„Integrierte Sicherheit für Deutschland“ – so hat die Bundesregierung ihre Nationale Sicherheitsstrategie überschrieben. Der Anspruch ist groß, denn es geht um das Zusammenwirken aller relevanten Akteure, Mittel und Instrumente gegen Bedrohungen von außen.


Wie notwendig ein solches Zusammenwirken ist, zeigt der Blick auf die aktuellen Sicherheitsbedrohungen: Angriffe im Cyberraum, Spionage- und Desinformationsaktivitäten ausländischer Staaten, Terrorismus sowie schwere und organisierte Kriminalität bedrohen unsere Sicherheit. Hinzu kommt ein verschärfter wirtschaftlicher Wettbewerb, der etwa von China mit allen Mitteln ausgetragen wird. Die Pandemie hat uns die Verwundbarkeit globaler Lieferketten gezeigt und vor Augen geführt, dass wir uns schon lange nicht mehr nur mit militärischen Bedrohungen konfrontiert sehen. Gleichzeitig wurde die militärische Bedrohung zu lange unterschätzt: Erst der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat uns das auf drastische Weise vergegenwärtigt. Die Fähigkeitslücken unserer Streitkräfte waren den kundigen Beobachtern schon lange bekannt und sind leider zu folgenlos benannt worden.


Dort, wo die Nationale Sicherheitsstrategie Bedrohungen und Risiken analysiert, ist das Papier gelungen. Es stellt sich aber die Frage, wie Deutschland auf diese Herausforderungen reagieren will – und hier bleibt die Bundesregierung wichtige Antworten schuldig. Das liegt zum einen an den großen inhaltlichen Differenzen innerhalb der Regierungskoalition: Die Ampel hat Festlegungen, die die Bezeichnung „strategisch“ verdienen, verhindert. In der Folge bleiben Handlungsempfehlungen an vielen Stellen wenig konkret. Wie geopolitische Handlungsfähigkeit gestärkt werden kann, wird nicht überzeugend dargelegt.



Verpasste Einbindung und ihre Folgen


Diese fehlende Handlungsorientierung der Strategie lässt sich auch auf den defizitären Erstellungsprozess zurückführen. Mit Blick auf das antizipierte Konfliktpotenzial innerhalb der Bundesregierung wurde der Kreis der Beteiligten so eng wie möglich gezogen. Sogar einige Bundesministerien kannten den Text bis kurz vor der Verabschiedung durch das Kabinett nicht. Die mangelnde Einbeziehung betraf aber vor allem die Bundesländer. Obwohl die Länder die Hauptakteure der inneren Sicherheit sind, wurde ihnen eine substantielle Mitwirkung an der Nationalen Sicherheitsstrategie versagt. Sie bekamen den Text noch nicht einmal vorab zur Stellungnahme übersandt, sondern erhielten nur Einsicht per Auslage im Auswärtigen Amt in einer Art „in-camera“-Verfahren. Damit war es den Ländern unmöglich, die Bewertungen aller zuständigen Ressorts und der mit Gefahrenabwehr befassten nachgeordneten Behörden einzuholen. Von einer solchen fachlich fundierten Ergänzung hätte der Entwurf zweifellos profitieren können. Die kurzerhand anberaumten Besprechungen des Auswärtigen Amtes mit Ländervertretern waren damit von vornherein nur Beteiligungssimulation.


Das ist besonders deshalb problematisch, weil die Länder maßgeblich für das Gelingen einer Nationalen Sicherheitsstrategie verantwortlich sind: Denn sie sind nicht nur die staatliche Ebene, für die nach geltender Verfassungslage in weiten Teilen der inneren Sicherheit eine Zuständigkeitsvermutung gilt. Sie sind auch diejenigen, die im Bundesrat darüber entscheiden, ob der Bund zusätzliche Kompetenzen erhält. Die Länder sind eben keine „Stakeholder“, deren vermeintliche Beteiligung sich durch die „Einbindung“ in unverbindlichen „Roundtable“-Formaten abhaken lässt.


Wenn aber zentrale Akteure nicht an der Strategiebildung beteiligt werden, muss sich der Text notwendigerweise auf Absichtserklärungen und Ankündigungen beschränken. Die Außenministerin hat bei der Vorstellung der Strategie insbesondere das notwendige Zusammendenken von innerer und äußerer Sicherheit hervorgehoben – die Integrierte Sicherheit – bewusst mit großem „I“. Dieses Zusammendenken hat hier jedenfalls nicht stattgefunden. Zu der für unser Land lebenswichtigen Frage, wie Integrierte Sicherheit organisiert werden soll, bleibt die Strategie auffallend blass. Dabei ist dieses Zusammenwirken beim Schutz der kritischen Infrastruktur (hier ist selbstverständlich auch die Wirtschaft einzubeziehen, was durch die Länder längst erfolgt), bei der Abwehr von Cyber-Angriffen oder auch beim Zivil- und Katastrophenschutz essenziell. Dabei darf Zusammenarbeit jedoch nicht mit Zentralisierung gleichgesetzt werden.



Überfällige Maßnahmen für Integrierte Sicherheit


Die Erfahrung aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr der vergangenen dreißig Jahre zeigt, dass die sicherheitspolitischen Ziele nur erreicht werden, wenn die beteiligten zivilen und militärischen Akteure vor Ort zusammenarbeiten. Daraus wurde das Konzept der Vernetzten Sicherheit entwickelt. Die Beteiligten sollten sich über zu erreichende Ziele verständigen, Lagebilder abgleichen und ihr Wirken aufeinander abstimmen. Die Vorteile dieses vernetzten Ansatzes liegen auf der Hand, in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Umsetzung nicht trivial ist. Wenn dies schon für die vernetzte Sicherheit im begrenzten Bereich eines Auslandseinsatzes gilt, müssen umso mehr Hürden beim weit anspruchsvolleren Konzept der Integrierten Sicherheit genommen werden.


Was bei der Erstellung der Strategie versäumt wurde, muss nun umso dringender bei der Umsetzung nachgeholt werden. Notwendig ist ein gemeinsames Verständnis darüber, dass gesamtstaatliche Sicherheit nicht nur ressortübergreifend, sondern eben auch ebenenübergreifend gewährleistet werden kann.


Auf Dauer wird Integrierte Sicherheit aber nur umzusetzen sein, wenn dafür auch institutionelle Vorkehrungen getroffen werden. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, wie randständig die Rolle der Nachrichtendienste im Text der Nationalen Sicherheitsstrategie definiert ist. Dabei ist ihre Bedeutung für vorausschauendes politisches Handeln in einer komplexen Sicherheitslage zentral. Die Handlungsfähigkeit der Nachrichtendienste hängt wesentlich von ihrer internationalen Kooperationsfähigkeit ab. Leider sind sie in dieser Hinsicht in den letzten Jahren politisch eher geschwächt als gestärkt worden. Eine institutionelle Stärkung der strategischen Vorausschau müsste auch die Erkenntnisse der Nachrichtendienste von Bund und Ländern strukturierter zusammenführen. Auch das verweist unmittelbar auf die dritte große Schwachstelle der Sicherheitsstrategie. Neben der mangelnden Handlungsorientierung und der fehlenden Einbeziehung der Länderperspektive ist es der Bundesregierung nicht gelungen, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten.


Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag forderte bereits vor 15 Jahren mit dem Beschluss „Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland“ eine Nationale Sicherheitsstrategie sowie die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats. Es gelte, so hieß es in dem Beschluss, die Organe, Instrumente und Fähigkeiten der inneren und äußeren Sicherheit besser miteinander zu verzahnen – die Länderebene war bereits mitgedacht: „Um ein kohärentes Zusammenwirken aller Kräfte der inneren und äußeren Sicherheit zu gewährleisten, ist ein ‚Nationaler Sicherheitsrat‘ als politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum einzurichten. Die Länder müssen dabei ihren Aufgaben entsprechend mitwirken können.“ Hierzu bedarf es eines handlungsfähigen Stabes, der sowohl interdisziplinär als auch ressortübergreifend arbeitet und der Bund und Länder zusammenführt.


Der Weg, den die Unionsfraktion damals aufzeigte, ist auch heute noch der richtige. In den vergangenen Jahren wurden mit dem gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum oder mit dem Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz von Bund und Ländern bereits gemeinsame Einrichtungen der Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes geschaffen. Der Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern wurde gestärkt, mit positiven Auswirkungen für die Zusammenarbeit. Auch auf dem Gebiet der Cyber-Sicherheit könnte dieses Modell stärker nutzbar gemacht werden. So wäre etwa eine starke Einbindung aller Länder in das Nationale Cyber-Abwehrzentrum wünschenswert.


Was in einzelnen Teilbereichen der Sicherheitspolitik erfolgreich ist, reicht nicht aus. Koordinierung, Austausch und gemeinsame Strategieformulierung im Bundeskanzleramt müssen gestärkt werden. Erst wenn dies unter Einbeziehung der Länder stattfindet, kann ernsthaft von Integrierter Sicherheit gesprochen werden. Erst dann wird man auch nicht mehr nur von einer Sicherheitsstrategie der Bundesregierung sprechen können, sondern von einer Nationalen Sicherheitsstrategie, die diesen Namen verdient.



Dr. Mark Speich

ist seit September 2017 Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. 2008 bis 2017 war er Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland und des Vodafone Instituts für Gesellschaft und Kommunikation. Zuvor war er Leiter der Planungsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er studierte Zeitgeschichte, Politikwissenschaft und Staatsrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der Universität Cambridge.

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